Leadership & Karriere Gründer Julian Leitloff: „Man muss ordentlich Luft aus dem Gründungsmythos lassen“

Gründer Julian Leitloff: „Man muss ordentlich Luft aus dem Gründungsmythos lassen“

Von der Idee, die betrunken in der Kneipe geboren wurde, zum eigenen Startup mit Exit: eine romantischere Vorstellung vom Gründen gibt es wohl kaum.

Dass sie abseits jeglicher Realität liegt, erzählt Julian Leitloff gemeinsam mit Caspar Tobias Schlenk in seinem neuen Buch „Keinhorn – Was es wirklich heißt, ein Startup zu gründen“.

Leitloff machte seine ersten Schritte in die Selbstständigkeit mit 22 Jahren. Sein erstes Startup? „Stilnest“ – Schmuck aus dem 3D-Drucker. Damit schaffte er es auf die Forbes-Liste „30 unter 30“. Bis dahin war es jedoch ein weiter, ungemütlicher weg. Heute leitet Leitloff das Fintech-Startup Fractal.

Im Interview spricht Leitloff darüber, warum seine Gründergeschichte eine von einem Keinhorn ist, warum er es manchmal hasste, CEO zu sein und wie es für ihn war, seinen besten Freund zu feuern.

Zu Beginn: Was ist der größte Irrtum über das Gründen eines Startups?

Ich habe viel Bullshit gelesen: Etwa von Gründer*innen, die sich damit brüsten, nur vier Stunden zu schlafen oder so tun, als hätten sie von Anfang an einen genialen Plan gehabt. Dieses Bild ist Teil der Selbstinszenierung und das hält leider einige davon ab, selbst eine Firma zu starten.

Gründen ist viel Unsicherheit. Ich musste viel einstecken und lag häufig falsch. Damit musste ich umgehen. Alle Gründer*innen werden in einem vertraulichen Gespräch nach ein paar Bier sagen: Es hat viel mit Können zu tun, aber auch viel mit Glück.

Wieso hast du dich dazu entschieden, ein Buch über eine Gründergeschichte zu schreiben? Davon gibt es ja schon einige.

Ist der große Erfolg erst einmal da, fällt es leicht, über vermeintliche Krisen der Vergangenheit zu sprechen. Es gibt viele Held*innen-Geschichten und Fuck-up-Stories, aber die Realität der Gründer*innen dazwischen – wahrscheinlich 90 Prozent der jungen Firmen – kommt aus meiner Sicht zu selten vor.

Das Buch ist kein klassischer Ratgeber, nach der Lektüre sollte man aber folgende Frage besser beantworten können: Will ich mir den Stress antun? Verstehe ich die Faszination? Hinzukommt: Gründen ist für viele keine Karriereoption. Ich glaube, man muss ordentlich Luft aus dem Gründungsmythos lassen und dies schafft man mit einem realistischen Bild.

Warum ist deine Geschichte die von einem Keinhorn?

Der Titel soll aussagen: Das einzige Ziel darf nicht sein, ein Startup mit Milliarden-Bewertung aufzubauen. Diese Unternehmen nennt man ja Einhörner. Das ist rein statistisch super unwahrscheinlich. Wer so an eine Gründung herangeht, wird am Ende wahrscheinlich sehr enttäuscht sein, wenn es nicht klappt.

Stattdessen soll Keinhorn vermitteln, wie erfüllend das Unternehmertum trotzdem ist – auch wenn eine Krise die nächste jagt. Und ich will damit andere Gründer*innen ermutigen, ebenfalls offener über die enormen Schwierigkeiten ihres Alltages zu sprechen. Mein Beispiel ist nur eines von vielen. Deswegen bauen wir parallel zum Buch eine Reihe mit weiteren Gründer*innen-Geschichten unter Keinhorn.co auf.

Leitloff (rechts) erzählte Schlenk (links) seine ganze Gründergeschichte. ©Leah Kunz

Ein Kapitel des Buches heißt „Die Beißschiene“. Was hat das mit deiner Story zu tun?

Ich knirsche nachts mit den Zähnen. Meine Ärztin sagte, dass das auch an dem enormen Stress liegt. Deswegen verschrieb sie mir die Beißschiene. Die habe ich mit meinen Zähnen kaputt gemacht, weil die Belastung und der Druck so extrem waren.

Die Schiene war für mich ein Symbol, das mir zeigte: Das ist zu viel, ich muss auf mich aufpassen. Alle Gründer*innen können ihre Stress-Anekdote erzählen. Manche bekämpfen das mit Alkohol, andere mit Drogen. Ich zerbeiße halt Beißschienen.

Du hast in einer Studi-Bude mit Kumpels gegründet. Ist das wirklich so romantisch, wie man sich das vorstellt?

Ich glaube, spätestens an der Stelle im Buch, als mein Mitgründer Raoul und ich am Geldautomaten stehen, wir kein Geld rausbekommen und das Büro hungrig nach der letzten Dose Chilli con Carne durchsuchen, ist die Romantik unter den Leser*innen dahin. Wir wären einige Male als Firma fast pleite gegangen.

Was war dein größter Fail während des Gründens?

Der größte Fehler war es, ein Produkt für den Endkunden-Markt herauszubringen. Stilnest macht Schmuck aus dem 3D-Drucker. Im Rückblick hätten wir eine technische Lösung für Geschäftskund*innen entwickeln müssen.

Wir haben uns damals viel mit anderen Startups in dem Markt ausgetauscht, etwa die Unternehmen DyeMansion und 3Yourmind. Die sind im Geschäftsbereich geblieben und damit unglaublich erfolgreich. Sobald Investor*innen an Bord sind, fällt es schwer, den Weg grundlegend zu ändern. So mussten wir schmerzhaft Branchenerfahrung sammeln und konnten unsere Kernkompetenz mit der Technologie nie richtig ausspielen. 

Hast du deinen Job als Gründer auch manchmal gehasst?

Unzählige Male. Zum Beispiel als mir bewusste wurde, dass ich mit meinen Freunden zusammenarbeite, aber nicht immer nur der Kumpel sein kann. Als CEO damals haben die anderen von mir erwartet, dass ich auch unangenehme Entscheidungen für die Firma treffen muss. Das hat sich auch auf unsere Freundschaft ausgewirkt und das schmerzte mich.

Oder die Nächte, als ich im Bett lag und mir den Kopf zerbrochen habe, wie ich am Ende des Monats die Gehälter zahlen soll. Das ist ein sehr fieses Gefühl. Wir haben es immer geschafft, aber häufig war es verdammt knapp und die Ungewissheit nagte an mir.

Aber es gab auch die unspektakulären Momente, die einfach ätzend waren: Gerade am Anfang bist du für alles verantwortlich. Das heißt im Zweifel spülst du abends um 23 Uhr noch das Geschirr ab und stehst morgens um 8 Uhr wieder im Büro, um den Techniker reinzulassen. Als CEO bist du im Zweifel der große Stratege und der Hausmeister.

©Campus

Was war deine schwierigste Entscheidung, die du treffen musstest und wie bist du mit ihr umgegangen?

Ich musste meinen besten Freund feuern, mit dem ich das Unternehmen in den ersten Jahren aufgebaut hatte. Das war die schwerste Entscheidung meines bisherigen Lebens. Seine Fähigkeiten passten nicht mehr zur Situation, in der sich die Firma befand. Er ist ein begnadeter Designer, aber wir brauchten zu der Zeit eine erfahrende Person als Manager*in.

Ich habe versucht, ihm die Entscheidung so direkt wie möglich mitzuteilen. Doch es herrschte ein paar Monate Funkstille und der Konflikt kam immer mal wieder hoch. Mittlerweile ist zum Glück alles wieder gut. Ich hatte einen Mentor, mit dem ich das durchsprechen konnte, doch ich habe lange mit der Entscheidung gehadert.

Ein großer Teil des Buches erzählt von Finanzierung und Investment. Wie holt man das Beste aus einem geringen Investment heraus?

Wenig Geld macht kreativ und lernfähig. Viele Startups werden mittlerweile mit Geld zugeschüttet. Das führt oft zu unüberlegten Ausgaben. Gerade am Anfang habe ich die Sparsamkeit vorgelebt, extrem wenig verdient und auf jede Ausgabe geachtet.

Das klingt vielleicht auch nach einer Binsenweisheit, aber so einige Gründer*innen verhandeln beim Gehalt ihrer Mitarbeiter*innen um jede 50 Euro pro Monat und zahlen sich dann 200.000 Euro pro Jahr aus. So entsteht kein gesundes, sparsames Unternehmen.

Was sind rückblickend die drei wichtigsten Dinge, die du in deiner Gründerzeit gelernt hast?

Harte Arbeit führt nicht zwangsläufig zu Erfolg. Man kann auch schnell in die falsche Richtung laufen. „Geh dahin, wo der Schmerz ist“, habe ich von meinem Mentor gelernt. Man merkt meistens sehr früh, was die Probleme sind und hat einen inneren Widerstand, die wichtigen Themen anzugehen, weil man weiß: Dann wird es unangenehm. Das zu überwinden ist unglaublich wichtig. Und zuletzt eine Binsenweisheit: Wer nicht vertraut, dem wird nicht vertraut.

Was nervt dich am meisten an der Gründer*innen-Bubble?

Dass wir nicht mehr Tobi Lütkes in der Startup-Szene haben. Der Gründer von Shopify signalisiert nicht ständig nach außen: „Schaut her, ich bin ein toller Typ“. Viele Gründer*innen können das selbst nach Feierabend nicht abstellen. Ich habe dann meistens das Gefühl, dass da irgendwas kompensiert werden muss.

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