Life & Style Kolibri Games: “Am Ende kommt es darauf an, den Value auf die Straße zu bringen”

Kolibri Games: “Am Ende kommt es darauf an, den Value auf die Straße zu bringen”

Im Februar 2020 wurde Kolibri Games schlagartig einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Der französische Spieleentwickler und Publisher Ubisoft – bekannt für Titel wie “​Assassin’s Creed” oder “Watch Dogs” – übernahm 75 Prozent beim Berliner Entwicklerstudio und legte dafür 120 Millionen-Euro auf den Tisch. Gegründet wurde Kolibri Games im Februar 2016 in einer Studenten-WG in Karlsruhe. Mit erfolgreichen Spiele-Apps wie “Idle Miner Tycoon” machte sich die Firma schnell einen Namen im Mobile-Gaming-Markt. Heute arbeiten über 100 Personen für das Unternehmen und die Spiele wurden über 150 Millionen mal heruntergeladen. Die Bewertung von Kolibri Games lag zum Zeitpunkt der Übernahme bei 160 Millionen Euro.

Wir trafen Anfang Oktober die beiden Mitgründer Janosch Sadowski (29) und Daniel Stammler (29) in ihrem Büro in Berlin-Mitte und haben uns darüber unterhalten, warum das Smartphone als Spieleplattform so beliebt ist, wie man bei schnellem Wachstum den Fokus nicht verliert und warum Berlin nicht immer der beste Ort zum Gründen ist.

Vom Startup in einer Studenten-WG zum 120 Millionen-Euro-Exit – und das in weniger als fünf Jahren und ohne VC. Klingt nach Gründer-Hollywood. Wenn Ihr für eure Erfolgsstory einen Filmtitel finden müsstet – welcher wäre dies und warum?

Janosch Sadowski: Ich würde sagen “From Rags to riches (Vom Tellerwäscher zum Millionär, Anm. d. Red.). Wir haben als Studentenprojekt begonnen und viereinhalb Jahre später ist daraus eine große Company entstanden. Eine tolle Erfolgsstory.

Daniel Stammler: Im Titel müsste auf jeden Fall “Work hard” vorkommen. Bevor wir Kolibri Games gegründet haben, hatten wir vier Jahre lang versucht Firmen aufzubauen, die aber leider nicht funktioniert haben und dennoch sind wir immer dran geblieben. Das ist der Teil des Eisbergs, den man heute nicht sieht.

Was waren aus heutiger Sicht die wichtigsten unternehmerischen Schritte?

DS: Ein wichtiger Schritt war, dass wir uns stark auf “Idle Miner Tycoon” fokussiert haben. Beim Release konnte das Spiel nicht viel. Dann haben wir Woche für Woche Updates gemacht und haben es dadurch geschafft, aus einem kleinen Spiel ein Spiel mit mittlerweile 120 Millionen-Downloads aufzubauen. Dieser Fokus und dieses Durchhaltevermögen waren entscheidend – und nicht zu sagen: Nach fünf Monaten machen wir eben etwas Neues.

JS: Wir waren auch immer sehr schnell. Wir hatten Entwicklungszyklen von nur einer Woche. Dann gab es Monate, in denen wir auf einen Schlag sehr viele neue Mitarbeiter*innen eingestellt haben, weil wir einfach die Power brauchten. Das hat alles funktioniert.

Idle Miner Tycoon: Schächte bauen, Minenarbeiter beschäftigen und den Umsatz in die Höhe treiben – das ist das erklärte Ziel im Spiel. Credits: Kolibri Games

Wie habt Ihr bei dem schnellen Wachstum den Fokus beibehalten?

DS: Unser Recruitingprozess war sehr intensiv. Am Anfang haben wir die Leute auf eine Probe-Woche eingeladen – irgendwann mussten wir dann aber auf zwei Tage reduzieren. Dieser Prozess hat jedoch dafür gesorgt, dass wir nur Personen eingestellt haben, die mit unseren Werte übereinstimmen. Grundsätzlich gilt beim Wachstum meiner Meinung nach: Wenn man zu übervorsichtig ist, dann verpasst man die Chance, die Firma groß zu machen. Wenn man zu schnell ist, dann wird es für die eigene Kultur gefährlich.

Wie würdet Ihr eure Unternehmenskultur beschreiben?

DS: Im Kern eine sehr bodenständige Mentalität, die gerade von uns Gründern vorgelebt wird. Wir haben nie Investorengelder gesammelt, uns ging es nie um die große Gründerstory, anderen Leuten zu erzählen, wie geil wir sind. Uns war immer wichtig: Was ist das nächste große Update? Wie optimieren wir die Prozesse? Am Ende kommt es darauf an, den Value auf die Straße zu bringen.

Was hat sich geändert, seitdem Ubisoft mit an Bord ist?

JS: Wir treffen hier weiter die Entscheidungen, die wir für richtig halten, ohne dass sich Ubisoft einmischt. Natürlich müssen wir Zahlen reporten und mehr Papierkram erledigen. Aber strategisch und operativ treffen wir die Entscheidungen weiterhin.

DS: Wir denken jetzt auch viel langfristiger. Es geht jetzt nicht mehr darum, dass dieses Jahr gut aussieht, sondern darum, dass die nächsten drei bis sechs Jahre gut aussehen. Bis wir die Kosten für neue Projekte wieder drinnen haben, dauert es zwei oder drei Jahre. Man braucht ein paar Anläufe, bis es skaliert. Durch Ubisoft können wir jetzt langfristige Investitionen machen.

Der Mobile-Gaming-Markt boomt seit Jahren. Was macht das Smartphone aus eurer Sicht zu so einer beliebten Spieleplattform?

DS: Der eigentliche Grund besteht darin, dass Spiele spielen sehr tief im Menschen verankert ist. Seit Jahrtausenden spielen Menschen Spiele. Was sich ändert, ist über die Technologie die Art wie man Spiele spielt. Die Römer mussten ihre Spielfelder auf Papier zeichnen. Da gibt es heute natürlich einen Technologie-Shift. Der erste Schritt war der PC und später die Konsole. Und jetzt sehen wir, dass digitale Spiele durch das Smartphone viel massentauglicher werden.

Was könnt Ihr über die Zielgruppe sagen?

DS: Im Mobile-Gaming-Markt kommen 50 Prozent der Umsätze von Frauen. Spiele auf dem Smartphone spielen, ist nicht nur Hardcore-Gaming. Viele Leute spielen auf ihrem Smartphone, ohne dass man sie als Gamer bezeichnen würde. Das sind meistens ganz durchschnittliche Menschen, tendenziell älter, 40 plus. Sie spielen auf dem Weg zur Arbeit, in der Mittagspause und abends vor dem Schlafengehen.

Starke Wachstumstreiber im Mobile-Gaming-Markt sind vor allem Free-to-Play-Titel mit der Option auf In-Game-Käufen. Beobachtet man hier einen industriellen Shift, weg von fertigen, in sich geschlossenen Spielen? Ändert sich in dieser Branche also nicht nur die Technologie, sondern auch das Produkt?

DS: Im Mobile-Gaming-Markt ist das schon länger so. Ich hatte gestern gelesen, dass 99 Prozent der Umsätze von Free-to-Play-Spielen kommen. Die meisten Spieler geben kein Geld aus. Auf der anderen Seite gibt es sehr engagierte Spieler, wie etwa bei Fortnite, die sich den Superhelden-Charakter kaufen. Durch Free-to-Play-Spiele können die Meisten das Spiel einfach ausprobieren – wenn es ihnen gefällt, geben sie ab und zu Geld dafür aus.

JS: Früher wurden die Spiele fertig über den Zaun geworfen. Heute, mit Fortnite, ist es anders – das hat alles einen gewissen Servicecharakter: Die Entwickler müssen ständig dran bleiben und etwas Neues machen.

Corona war und ist ein Umsatztreiber im Mobile-Gaming-Segment. Wie seht Ihr die weitere Entwicklung in diesem Markt?

DS: Klar, Corona war ein Boost, aber die Märkte wuchsen schon davor stark. Spiele erreichen immer weitere Gesellschaftsbereiche. Und es gibt immer mehr Anbieter. Das ist ein interessanter Trend, wenn man an die Anfangszeit der App-Stores zurückdenkt, da gab es kaum Spiele. Als man damals ein Spiel gebaut hat, hat man sofort sehr viele Downloads bekommen. Andererseits war es damals noch nicht richtig möglich, gut zu monetarisieren. Das heißt, man hat sehr viele Spieler*innen bekommen, es gab aber noch nicht die richtigen Technologien, um damit Geld zu verdienen.

Preise: Kolibri Games wurde mehrfach ausgezeichnet – zuletzt wurden die Co-Gründer im Oktober als „Young Entrepreneur of the Year“ geehrt. Credits: Kolibri Games 

Wodurch generiert Ihr euren Umsatz?

JS: Unsere Spiele laufen, genau wie Fortnite auch, nach einem Free-to-Play-Modell. Der Download an sich kostet nichts und es gibt viele Spieler*innen, die Monate lang spielen und nie einen Cent ausgeben. Umsatz generieren wir durch In-App-Einkäufe, durch die sich eben die besonders eifrigen einen Vorteil verschaffen können, und durch Rewarded Video Ads, also Werbeeinnahmen. Wir geben unseren Spielern die Möglichkeit, bestimmte Vorgänge im Spiel zu beschleunigen, indem sie sich einen kurzen Werbe-Clip anschauen.

Nochmal zu Corona: Die Pandemie hat auch zu Veränderungen in der Arbeitskultur geführt – Remote ist heute viel mehr verbreitet. Ihr habt mit eurem “4+1-Flex-System” dauerhaft auf Home-Office umgestellt. Wie funktioniert dieses Modell genau?

JS: Wir kommen aus einer sehr bodenständigen Richtung, da gab es in der Vergangenheit kein Home-Office. Dann kam Corona und wir haben gemerkt, dass die Mitarbeiter*innen genauso produktiv sind. Unser System funktioniert nun so, dass die Mitarbeiter*innen entscheiden, wo sie vier Tage in der Woche arbeiten – ob im Office oder Zuhause oder im Café. An einem Tag muss das Team dann im Office zusammengekommen, damit der persönliche Austausch nicht verloren geht.

DS: Das System ermöglicht es, im Office an den Themen zu arbeiten, die von Face-to-Face profitieren – bei Personalthemen oder Mitarbeitergesprächen. Da ist es wichtig, die Energie im Raum zu spüren. Und dann gibt es in jedem Team Aufgaben, die müssen abgearbeitet werden und da ist es besser, wenn man zuhause ist und seine Ruhe hat. Mit dem “4+1-Flex-System” versuchen wir das Beste aus beiden Welten miteinander zu kombinieren.

In einem Interview habt Ihr euch als große Bücherfans geoutet. Welche Bücher und Autoren könnt Ihr empfehlen, gerade mit Blick auf die Bereiche Karriere und Inspiration?

JS: Was ich immer empfehle ist “Extreme Ownership” von Jocko Willink. Die Botschaft ist: Am Ende des Tages bist du dafür verantwortlich, dass die Dinge erledigt werden. Es bringt nichts, andere verantwortlich zu machen, wenn etwas nicht vorangeht. Für einen Gründer ist das klar, aber diese Botschaft sollte auch für die Mitarbeiter gelten.

DS: Das Buch, das die letzten zwei Jahre den größten Einfluss auf mich hatte, war “Atomic Habits” von James Clear. Für mich war das eine ganze neue Art zu denken. Alles, was man macht oder erreichen möchte, zum Beispiel gesünder leben oder mehr Lesen – das alles sollte man so angehen, dass man es langfristig in seinen Alltag integrieren kann. Also nicht sagen, diesen Monat lese ich zehn Bücher und danach lese ich monatelang gar nichts. Sondern: Man liest ein Buch pro Woche, das dann aber dauerhaft. Im Grunde geht es darum, wie kann man sein Leben so gestalten, dass man seine Ziele erreicht. Das Buch habe ich auch jedem in der Firma empfohlen und so lange damit genervt, bis es die meisten auch gelesen haben.

Letzte Frage: Was hat Karlsruhe, das Berlin nicht hat und was hat Berlin, das Karlsruhe nicht hat?

JS: In Karlsruhe kanntest du jeden, der in seinem Bereich wichtig war. Alles war viel überschaubarer und familiärer – und das hat auch etwas Schönes. Dagegen kannst du in Berlin immer wieder neue Dinge und Ecken entdecken. Das ist inspirierend.

DS: Karlsruhe hat die bodenständige Mentalität. Dagegen hat Berlin das Groß denken, das Vorwärts denken. Ich bin aber sehr happy, dass wir nicht in Berlin gegründet haben. Denn dann kann es passieren, dass man zu schnell von einer Billion-Dollar-Company redet, ohne wirklich etwas am Start zu haben. Wenn du in Karlsruhe so redest, dann bekommst du gleich einen auf den Deckel. Karlsruhe war für den Start sehr gut. Zum Skalieren war und ist Berlin einfach besser.

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