Leadership & Karriere Vom Homeoffice ins Burnout: Über die Gefahr psychischer Erkrankungen in unnormalen Zeiten

Vom Homeoffice ins Burnout: Über die Gefahr psychischer Erkrankungen in unnormalen Zeiten

Ein Gastbeitrag von Dr. med. Bastian Willenborg

Seit der Pandemie ist nichts mehr, wie es war. Das Virus SARS-CoV-2 hat das alltägliche Leben nachhaltig verändert – weltweit. Und ein Ende ist noch nicht in Sicht. In der Klinik werde ich immer öfter damit konfrontiert, dass Menschen nicht wissen, wie sie mit ihren Sorgen und Nöten rund um Beruf, Familie und Kinderbetreuung umgehen sollen.

Routinen, die das Leben einfacher machen, uns entlasten und dabei helfen, dass wir uns nicht über alles Gedanken machen müssen, fehlen. In dieser Phase neue Routinen zu entwickeln, um alte Routinen zu ersetzen, ist schwierig.

Viele Menschen verharren in einer Art Schockstarre. Die Frage, wann oder ob das Leben je wieder normal wird, besorgt und verunsichert Millionen von Menschen. Das geht an ihrer Psyche nicht spurlos vorbei. Die Gefahr, psychisch krank zu werden, nimmt zu.

Burnout – Wertschätzung oder Krise

Das Burnout-Syndrom ist definiert als Risikofaktor für psychische Erkrankungen. Menschen mit Burnout-Syndrom berichten, angespannter zu sein, keine Ruhe zu finden, Schlafstörungen zu haben, zeitweise weniger Freude zu erleben oder auch aggressiver zu sein.

Ein Burnout-Syndrom entwickelt sich, wenn es zu einem Ungleichgewicht von Aufgaben und dazugehöriger Gratifikation, also der Wertschätzung dieser Aufgaben, kommt. Wenn wir uns das vor Augen halten, ist die Corona-Pandemie nicht nur eine gesundheitliche Krise, sondern auch eine Gratifikationskrise.

Aktuell wird den Menschen viel abverlangt. Oft waren sie vorher schon mit ihren alltäglichen Aufgaben ausgelastet, jetzt kommen Kinderbetreuung, Homeschooling, Homeoffice oder vermehrte Hausarbeit hinzu. Allerdings erhalten sie für diese Mehrarbeit oft keine Gratifikation. Die Menschen werden nicht gelobt, nicht wertgeschätzt, so dass dieses Mehr an Aufwand einseitig als Belastung wahrgenommen wird.

Erschwerend kommt hinzu, dass gerade für Selbstständige, Gründer*innen und Arbeitgeber*innen die finanzielle Situation in den letzten Monaten sehr belastend war und auch die angemessene monetäre Wertschätzung häufig fehlte. So bedeutet bei vielen das deutlich erhöhte Arbeitspensum gleichzeitig eine geringere Anerkennung für diese Mehrarbeit. Eine Disbalance. Verständlich, dass das Burnout-Syndrom vermehrt auftritt.

Angst oder Angsterkrankung?

Sorgen rund um Familie, Beruf oder wirtschaftliche Verpflichtungen können bei Menschen eine Angsterkrankung auslösen. Ängste werden dann zu einer Angsterkrankung, wenn sie das Leben maßgeblich beeinflussen, wenn der Alltag durch Ängste bestimmt wird und nicht mehr durch unsere eigentlichen Werte.

Immer weniger Menschen schaffen es zurzeit, ihre Ängste loszulassen, Ruhe zu finden oder ein gutes Gespräch mit Freund*innen zu führen. Sie sind voller Angst in Bezug auf sich selbst, ihren Beruf, ihre Zukunft und ihre Mitmenschen.

 
Bastian Willenborg ist Ärztlicher Direktor der Oberberg Fachklinik Berlin Brandenburg sowie der Oberberg Tagesklinik Kurfürstendamm. ©Privat

Auch wenn Ängste in der aktuellen Situation nachvollziehbar und teilweise auch richtig sind, sollten diejenigen, die sich nicht mehr von ihren Ängsten lösen können, schnell professionelle Hilfe suchen. Wenn sie merken, dass ihre Angst die bestimmende Kraft in ihrem Leben wird.

Niedergeschlagen oder depressiv?

Depressionen sind dadurch gekennzeichnet, dass das emotionale Leben taub und stumm ist. Man kann sich über nichts freuen, hat keine Energie. Man schläft schlecht oder ständig und hadert mit sich selbst. Depressive Symptome können sogar bis hin zu Suizidgedanken, sogar Suizidversuchen, führen.

Wissenschaftliche Daten belegen, dass Menschen, die neben einer zufriedenstellenden beruflichen Tätigkeit guten Kontakt zu ihrer Familie haben, über einen stabilen Freundeskreis verfügen und ihren Interessen nachgehen, weniger gefährdet sind, depressiv zu werden.

Wenn man nun aber durch die Corona-Pandemie eine berufliche Notbremsung erlitten hat, die Familie nicht mehr besuchen darf, mit Freund*innen nicht mehr ins Fußballstadion oder in den Schwimmverein gehen kann, fallen viele positive Aspekte des alltäglichen Lebens weg. Dauert dies Monate, können Menschen depressiv werden.

Bleibt die niedergeschlagene Stimmung länger bestehen, kann man sich über nichts mehr freuen oder hat keine Lust zum Leben, dann ist es notwendig, sich professionelle Hilfe zu holen, um den depressiven Zustand möglichst zu verkürzen.

Grund zur Hoffnung

Burnout, Angst und Depressionen: Wir befinden uns in Bezug auf unsere psychische Gesundheit in einer schwierigen Zeit. Aber trotz Corona-Pandemie gibt es Möglichkeiten, psychisch stabil und gesund zu bleiben.

Das Allerwichtigste ist, eine optimistische Grundhaltung einzunehmen. Auch wenn wir noch nicht wissen, wann es einen wirksamen Impfstoff geben wird, so können wir derzeit davon ausgehen, dass er kommt. Neben einer optimistischen Einstellung wie dieser können folgende Tipps helfen, psychisch stabil und gesund zu bleiben:

1.Routinen schaffen: Routinen sorgen für psychische Stabilität. Sie sollten geplant und eingehalten werden. Essen Sie regelmäßig, halten Sie eine Morgenroutine ein, gehen Sie stets zur ungefähr gleichen Zeit zu Bett.

2.Bewegen: Bewegung tut gut und ist ein wesentlicher Faktor, um körperlich und psychisch gesund zu bleiben. Wir wissen, dass Bewegung einen positiven Einfluss auf Diabetes oder auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen hat und sogar vor diesen Erkrankungen schützt. Aber auch bei Angsterkrankungen und Depressionen hilft sportliche Betätigung. Viele Sportarten sind wieder möglich: Joggen, Schwimmen, Radfahren oder Tennisspielen. Aber Abstand halten!

3.Vorsicht bei Alkohol: Alkohol führt dazu, dass sich Stress innerhalb kurzer Zeit leichter anfühlt. Die Angst wird weniger, im ersten Moment fühlt man sich gelöster. Allerdings ist dieser Effekt nur von kurzer Dauer. Alkohol hat die negative Eigenschaft, den Schlaf zu verändern und weniger erholsam zu machen. Das kann psychische Erkrankungen verschlimmern.

Zudem besteht die Gefahr, eine Suchterkrankungen zu entwickeln. In unseren Oberberg Kliniken sind bereits einige Patienten mit solchen Verläufen. Daher mein Rat: Bewusst trinken. Und Alkohol besser ganz weglassen, wenn er in schwierigen Situationen missbräuchlich genutzt wird.

4.Sich verabreden: Mittlerweile ist es wieder möglich, sich mit Freund*innen zu treffen, auszugehen und sich auszutauschen. Dies sollte man unbedingt tun. Auch soziale Medien sollten weiterhin genutzt werden, um in Kontakt zu bleiben, wenn der direkte Kontakt schwierig ist.

Wenn man die Großmutter nicht besuchen darf, kann man sie per Videotelefonie sehen. Das Gleiche gilt für Freund*innen, die man aufgrund von Reisebeschränkungen nicht sehen darf. Alternativen sind gefragt.

5.Die Situation realistisch einschätzen: Wenn durch den Lockdown erhebliche Einbußen hingenommen werden mussten, so wird es in vielen Fällen nicht möglich sein, diese komplett zu kompensieren.

Hier sollte man realistisch sein und den damit verbundenen Druck zum Beispiel nicht an Angestellte weitergeben. Was es vielmehr braucht, ist ein gutes Teamgefühl und gemeinsame, realistische Ziele.

Fazit: Zwar besteht eine erhöhte Gefahr, während der Corona-Pandemie psychisch zu erkranken, aber es gibt auch viele Möglichkeiten, die psychische Gesundheit positiv zu beeinflussen. Und sollte das Gefühl bestehen, es allein nicht zu schaffen, gibt es unterschiedliche Möglichkeiten der Unterstützung, die in aktuellen Zeiten auch über unterschiedliche Online-Formate gut verfügbar sind.

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